Krisenmusik. Ein Essay.

Musikkultur, Musiker*innen & die Überlebenskrise der Menschheit: Ein Essay.

Dieses Webprojekt ist unter den Namen Musik-und-Klimakrise.de und unter Klimasongs.de/Klimasongs.at erreichbar.

Eine Anmerkung vorweg:

Für alle Ausführungen auf den Seiten dieses Webprojekts gilt: Maßstab für die Einordnung von Aktionen, Statements, Maßnahmen und Songtext-Aussagen der letzten Jahre sind

  • das Pariser Abkommen,
  • das dort verankerte 1,5°-bzw.-deutlich-unter-2°-Ziel,
  • das verbleibende CO2-Budget (66%, 1,5° C) für Deutschland bzw. global,
  • die aktuellen Berichte des Weltklimarats IPCC und des Weltbiodiversitätsrats IPBES sowie
  • die planetaren Belastungsgrenzen.

Aus diesen Aspekten sind die Erfordernisse einer Null-Emissions- und einer Suffizienzpolitik („Politik des Genug“) abzuleiten.

Auf Mitbürger*innen, die sich bislang lediglich punktuell mit diesen Themen beschäftigt haben, mag die nachfolgende Analyse daher möglicherweise von Fall zu Fall harrsch wirken – aber einen anderen Maßstab als den der Zukunftsfähigkeit anzulegen erscheint nicht sinnvoll: Wir haben uns am Notwendigen zu orientieren, nicht am vermeintlich politisch-gesellschaftlich Machbaren. Die Zeit des Herumlavierens ist definitiv vorbei.

In diesem Sinne möchte ich den nachfolgenden Ausführungen ein Zitat des Klimatologen Anders Levermann voranstellen:

  • „Wir brauchen nicht weniger Emissionen, wir brauchen null Emissionen. Null! Das ist etwas anderes als Emissionen verringern. Etwas fundamental anderes, wenn sie mit Wirtschaftsvertretern sprechen. Verringern bedeutet, ich mache etwas weniger, und das wollen Wirtschaftsvertreter nicht. Null Emissionen heißt, ich mache etwas anders (2020).

Und damit ist nur die Klimakrise benannt. Hinzu tritt das ebenso dramatische Sechste Massenaussterben.

Alles in allem gilt:

Wir haben kein „Klimaproblem“, sondern wir haben ein Gesellschaftsproblem. Klimakrise und Sechstes Massenaussterben sind Symptome einer sozialen bzw. gesellschaftlichen Krise der Menschheit, die existenziell ist.


Intro.

Als Autor des 700-seitigen Handbuch Klimakrise (frei & komplett online verfügbar) falle ich gleich mit der Tür ins Haus: Mit Reformen ist es nicht getan. Wir brauchen eine alle Lebensbereiche auf den Kopf stellende (gesamt)gesellschaftliche Transformation, um die Zivilisation zu bewahren und auf diese Weise z.B. den derzeit Jüngsten unserer Gesellschaft die existenziellen Lebensgrundlagen in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts zu sichern.

Und diese (gesamt)gesellschaftliche Transformation wird neben vielem Anderen auch unsere Gewohnheiten, wie wir Musik konsumieren, wie wir zu Konzerten gehen etc., verändern.

Höchste Zeit also, dass sich das vielschichtige und gesellschaftlich einflussreiche Musikbiz dieser Herausforderung intensiv annimmt und u.a. herausfindet, wie man mit Null-Emissionen auf Tournee gehen kann. Wie Clubabende ohne Einwegprodukte auskommen. Wie (Musik-)Freizeitgestaltung wie bspw. ein Open-Air-Festival müllfrei gestaltet wird. Und wie man als Gesellschaft/Staat/Veranstalter*in vermeidet, dass Menschen aus der ganzen Welt bspw. nach Wacken & Co einfliegen (oder zu WMs, oder zu Olympia. Oder. Oder.): Das geht nämlich nicht mehr. Planetare Belastungsgrenzen und so.

Gleichzeitig ist es interessant zu untersuchen bzw. zu dokumentieren, wie

  • die sich stets so progressiv gebende (Pop-)Musikkultur bzw. wie
  • die Gruppe der Musikschaffenden

mit dieser größten Herausforderung, vor der die gesamte Menschheit je stand – und deren Bewältigung zur Bewahrung der Zivilisation unabdingbar ist -, umgeht.

Naheliegend ist also eine in der Öffentlichkeit stattfindende Beschäftigung/Auseinandersetzung mit dem Themenkreis Klimakrise/Massenaussterben

  • als Musiker*innenpersönlichkeit bzw. über Statements und Aktionen und
  • via Musikwerke/Songs bzw. musikalischem Ausdruck.

Ausgangspunkt für dieses Webprojekt ist daher die vom britischen Journalisten Alex Marshall 2015 pointiert auf den Punkt gebrachte Frage

„Where are all the Climate Songs?“

  • „Musicians have written exhilarating protest songs about everything from civil rights to apartheid. Yet no-one’s managed a popular song about what’s meant to be the most important issue of our time. Music writer Alex Marshall asks why.”

Karl Fluch fasst das Phänomen „Where are all the climate songs?“ in andere Worte:

  • „Früher hat das Bono erledigt. Herrscht irgendwo Hunger? Bono singt die Teller voll… Popmusiker gelten seit ihrer politischen Positionierung an der Seite der US-Bürgerrechtsbewegung als so etwas wie das Gewissen der Welt“ und kommt dann zu dem Schluss, dass das Prinzip ‚Popmusiker*innen als Gewissen der Welt‘ in der Klimakrise nicht gilt.

In der Tat: Wenn man sich klarmacht, wie viele Tonnen es an politischer/politisierter Musik in der (Pop-)Musikhistorie des 20. Jahrhunderts gibt, sind – so die Ausgangsthese dieses Webprojekts – Musiker*innen heute merkwürdig still. Stimmt diese Annahme? Und wenn sie tatsächlich so zurückhaltend sein sollten wie vom Autor bei Projektstart wahrgenommen: Warum?


Welche Arten der Beschäftigung mit dem Themenkreis „Klimakrise/Massenaussterben“ sind vorstellbar in diesem Zusammenhang?

Zum Beispiel

  • Songs, die das Thema Klima/Massenaussterben textlich (und evtl. zusätzlich musikalisch und/oder per Videoclip) aufgreifen, von Musiker*innen aller Genres aber auch aus dem (musik-)kabarettistischen Bereich – für verschiedene Zielgruppen wie u.a auch Kinder
  • Musik im Bereich der zeitgenössischen Musik, absolut, als Installation oder als Soundtrack für Theater, Tanztheater etc.
  • Musik als Soundtrack zu dokumentarischen oder fiktionalen Filmen zum Thema
  • Musiker*innenauftritte live auf Demos
  • thematisch passende Musik per Konserve auf Demos
  • Protestsongs & gesungene Slogans auf Demos
  • Musik-Festivals mit einem Motto betreffend die multiplen Krise der Mitwelt
  • Musiker*innen, die ihre Prominenz nutzen und sich z.B. in Interviews bzw. zwischen Songs auf Live-Konzerten äußern, allgemein ökologische Haltung zeigen oder per Schirmherrschaft oder als Aktivist*innen einbringen – oder die Politik(er*innen) herausfordern
  • Musiker*innen, die ihren Privat-Jet abschaffen bzw. ihr Musiker*innen-Dasein terran gestalten.
  • Musiker*innen, die es unterlassen, sich für Fan-Kreuzfahrten herzugeben
  • Unterlassung von Flug-involvierenden Konzertreisen ganzer Orchester
  • Unterlassung des Drehs von DSDS und ähnlichen Formaten in Interkontinentalflug-Entfernung.
  • Veranstaltungswirtschaft: Konzerte/Festivals in Sachen ökologischem Fußabdruck verbessern bzw. emissionsfrei gestalten
  • Musikbranche: Auslobung Preise für Zukunftsfähigkeit etc.
  • Musikproduktion: Reduzierung des CO2-Abdrucks durch Nutzung von Ökostrom, gebraucht nachgekaufter Produktionsgeräte, Nutzung von Virtualität
  • Musiker*innen als Opfer des Klimawandels, des Massenaussterbens, der Desertifikation, von klima-motivierter Vertreibung, Flucht
  • (Musik-)Wissenschaftskonferenzen bzw. -kongresse, die virtuell/hybrid stattfinden und daher Flugbewegungen vermeiden – und die auf diese Weise zur Demokratisierung/Diversifizierung der (Musik-)Wissenschaft beitragen, weil vermehrt auch Redner*innen/Teilnehmer*innen partizipieren, deren Budget eine Teilnahme vor Ort nicht zulassen würde.
  • Musikwissenschaft, die eben diese Zusammenhänge rund um „Musik, Klimakrise, Massenaussterben“ analysiert.

Playlist auf Spotify „International Climate Strike“

Fasst man den Begriff „Klimakrisen-Songs“ eng, so findet man auch im Jahre 2022 eher wenig Material, d.h. (auf den ersten Blick) überraschend wenig Musikstücke, die sich konkret mit dem Themenkreis „Klimakrise/Massenaussterben“ befassen.

Besinnt man sich auf das Dachthema „Multiple Krise der Mitwelt“ und die sich dahinter verbergenden Herausforderungen und Kipppunkte – und beschränkt man sich nicht auf Songs -, dann findet man schon mehr, beispielsweise

  • Den Veganismus von Moby
  • Jack Johnson – „You Can’t Control It“ (2017, Kampf gegen Plastik) (vgl. utopia.de “10 Tipps von Jack Johnson gegen Plastik“ )
  • Angélique Kidjo erhielt 2018 den Ehrenpreis des Deutschen Nachhaltigkeitspreises für ihr jahrzehntelanges humanitäres Engagement, insbesondere für die Bildung und Gleichstellung von Frauen in Afrika.
  • Stefan Gwildis ist seit 2018 Greenpeace-Antarktisbotschafter.
Music Declares Emergency – Playlists

Überhaupt wird die Liste von Songs, Aktionen, Statements, Projekten, Veranstaltungen, je tiefer und intensiver man gräbt, dann doch noch nach und nach länger. Das ist logisch. Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass sich gesellschaftlich relevante Musiker*innen allgemein und ihrer Verantwortung als in der Öffentlichkeit stehende Person gerecht werdend, sich vielfach und z.B. für ihre Fans wahrnehmbar in das Thema einbringen.

Und es ist ja nicht so, dass Musiker*innen stets und immer auf der „richtigen Seite der Geschichte“ stehen. Ich denke da bspw. an Metal-Musiker*innen, die am 6. Januar 2021 beim Sturm aufs US-Kapitol dabei waren – oder auch an die erschreckend vielen Musik-beinhaltenden Thunberg-Herabwürdigungen. Letztere gehen freilich i.d.R. von Menschen aus, die mal eben in fünf Minuten einen Basis-DJ-Track zusammenschrauben, was bekanntlich Jede*r kann und die*den ich zumindest nicht automatisch eine*n Musiker*in nennen mag.

Also: Je tiefer man gräbt, desto mehr Material findet man. Doch das heißt im digitalen Zeitalter nicht unbedingt, dass diese Songs/Statements/Aktionen auch rezipiert werden: Meine Grundbeobachtung läuft darauf hinaus, dass nicht nur Musiker*innen sich mit dem Thema schwer tun, sondern auch ihre Hörer*innen (vgl. Klickzahlen bei YouTube) – was wiederum Songwriter*innen selbstredend wissen.

Das Thema „Klimakrise/Massenaussterben“ ist die größte Herausforderung, die die Menschheit jemals zu bestehen hatte – und gemessen an der Dimension und Dringlichkeit ducken sich die allermeisten Bürger*innen der frühindisutrialisierten Staaten unter dem Thema weg: Warum sollte es in der Musikkultur – die ja nicht komplett am Publikum vorbei schreiben möchte – anders sein, als in der Gesellschaft generell? Letztlich gilt – trotz FFF, XR, Ende Gelände, Letzte Generation etc. – auch im Jahre 2022 Greta Thunbergs Aussage:

  • „Wenn das wirklich passiert, dann würden wir doch über nichts anderes mehr sprechen, es müsste höchste Priorität haben! Aber niemand hat darüber geredet.“ (2018; Hervorhebung Pendzich, Thunberg betreffend die Zeit, als sie mit acht Jahren das erste Mal ihren Lehrer über die Erderwärmung berichten hörte.)

Hinzu kommt, dass viele Musiker*innen sich als „Entertainer*innen“ definieren – und, gerade im (volkstümlichen) Schlagerbereich, ihre Rolle darin sehen, ‚dem grauen Alltag ihrer Fans ein paar bunte Stunden hinzuzufügen‘. Da kommt naheliegenderweise die per Mikrofon mitgeteilte Absage an das Leben, wie wir es bislang kannten, nicht so gut.

Schon 2016 kritisierte Udo Lindenberg seine Kolleg*innen der Schlagerszene – namentlich hervorgehoben Helene Fischer, dass sie – in diesem Fall ‚gegen Rechts‘ nichts sagen würden:

  • „Seiner Kollegin Helene Fischer nämlich macht er den Vorwurf, sie sage … nichts zur aktuellen politischen Situation: ‚Wenn mehr Leute was machen, sich positionieren würden, auch aus der Schlagerecke. Wenn von Helene Fischer auch mal ein Statement käme gegen Rechtspopulismus. Aber es gibt viele, die äußern sich prinzipiell gar nicht, die sagen, wir sind reine Entertainer.’“ (Lindenberg in Feddersen 2016)

Jan Feddersen erinnert sich im gleichen Artikel:

  • „1975 trug sich die für die Sängerin Su Kramer (‚Wie das Wasser so fließt die Zeit‘) unschöne Geschichte zu, dass sie vom Stern zu etwas Politischem befragt wurde. Und die frühere „Hair“-Darstellerin ist so bescheuert, ehrlich zu sagen (und das auch noch zur Veröffentlichung freizugeben): ‚Diese Frage kann ich nicht beantworten, ohne mit meinem Manager oder mit meiner Plattenfirma gesprochen zu haben.‘ So erledigte sie sich, die sich selbst zur Unmündigen gemacht hatte, mit wenigen Worten selbst: Sie wusste einfach nicht, dass damals schon die Zeiten der politischen (Pseudo-)Authentizität begonnen hatten.“ (2016)

Jan Delay fasst es in folgende Worte:

  • „Ich will immer ein positives Album machen… Auch wenn es um Themen geht, die mir Angst einflößen, wie der unfassbare Rechtsruck und die krasse Klimakrise, müssen es Songs sein, die die Leute nicht noch mehr runterziehen, sondern sie motivieren und euphorisieren, ihnen Mut machen und ein bisschen Kraft geben, damit umzugehen. Tanzend eben… Um Dinge anzuprangern, müsste ich eigentlich Bücher schreiben… Ich bin in erster Linie Entertainer. Darum geht es mir: gut zu entertainen. Wenn ich einen Song mache über ein Thema, das mir sehr wichtig ist, wenn ich ein Anliegen habe, dann will ich das entertainend machen… Wenn dir zu dem schlimmsten Thema keine guten Reime einfallen, dann lässt du es lieber bleiben. Manchmal reicht schon eine einzige, kleine Zeile. Damit erreichst du mehr Menschen als mit einem Song oder gar mit einem ganzen Album, das alle Missstände stumpf aufzählt. Du willst keine Abhandlung über Rassismus hören. Dazu kannst du nicht tanzen. Da hört keiner hin; höchstens die Leute, die das alles schon wissen.“ (2021)

Die konkrete Herausforderung besteht folglich darin, krisenfeste Songs, die ohne erhobenen Zeigefinger auskommen, zu schreiben. Das ist zugegebenermaßen nicht einfach – aber derart wichtig, dass – und hier fordere ich die Musiker*innen unter Ihnen Leser*innen auf – sich jede*r Musiker*in jeglichen Genres unbedingt auf den Weg begeben soll, solche Songs, Projekte, Statements etc. zu publizieren.

Warum das derart wichtig ist, skizziert der isländische Schriftsteller Andri Snær Magnason in seinem Buch Wasser und Zeit – Eine Geschichte unserer Zukunft (2020), der dort ein Gespräch mit dem Physiker und Klimaforscher Wolfgang Lucht (PIK) wiedergibt, welcher auf die Frage, ob Klimawissenschaftler*innen „ihre Theorien denn nicht vermitteln“ können, antwortet:

  • „Nein, weil sie keine Experten in Wissensvermittlung sind. Ohne Vermittler stoßen sie überall auf taube Ohren. Wenn Sie als Schriftsteller nicht das Bedürfnis verspüren, über diese Themen zu schreiben, dann verstehen Sie die Wissenschaft und den Ernst der Sache nicht. Wer versteht, was auf dem Spiel steht, setzt keine anderen Prioritäten.“

Wir Menschen erfahren (in der Kindheit und, das mag nicht allen Menschen klar sein: auch als Erwachsene) diese Welt weniger über Fakten, Daten und Grafiken als viel mehr über das Geschichtenerzählen (z.B. Nachrichten und Reportagen sind i.d.R. als Storys konstruiert) – und das bedeutet schlicht, dass wir grundsätzlich Kultur, z.B. Songs/Musik/Filme/(Tanz-)Theaterstücke/Romane/Gedichte/Bilder/Fotografien, benötigen, die die Welt für uns interpretieren und uns emotional in Tiefen erreichen, dort, wo Fakten keine Chance haben hinzukommen. Liebe Songwriter*innen und Kulturschaffenden dieser Welt: Wir brauchen Euch! Dringend.


Wie steht es also mit Klimakrisen-Hits und mit viral gegangenen Projekten, Liedern, Aktionen?

Es gibt sie, die ‚Hits zur Klimakrise‘ bzw. die ‚Hits zum zerreißenden „Web of Life“‚ – aber sie sind rar gesät. Dem Erfolg von Protestsongs alter, analoger Tage am nächsten kommt definitiv Lil‘ Dickys „We Love The Earth“. Der Song vereint allein bei YouTube 367 Mio Aufrufe seit seiner Veröffentlichung 2019 (Stand: Juli 2022). Dieser Song funktioniert vorrangig in Kombination mit dem Videoclip: An der älteren, weniger Internet-affinen Generation ist „We Love The Earth“ deshalb, mangels Radio-Airplay außerhalb der sozialen Medien, weitgehend vorbeigegangen.

Kennen Sie einen „Klimahit“ in Deutschland?

Hit per FFF-Demo: K.I.Z. ft. Henning May: „Hurra die Welt geht unter“, 2015, s.a. Abschnitt Songs (Made in Germany)

Sicher, Fridays for Future haben den einen oder anderen Song veröffentlicht – und die Zielgruppe hat dies dankbar angenommen.

Ich habe mich immer gefragt, welcher Mainstream-fähige Act in Deutschland der erste sein würde, der das Thema „Klimakrise/sechstes Massenaussterben“ medial unüberhörbar, nicht-ignorierbar in einem Song aufgreift… Am 8. März 2019 war es dann soweit. … and the winners are: Die Ärzte mit ihrem Song „Abschied“ (siehe Abschnitt Songs (Made in Germany)). Der Song erwähnt zwar das Klima nicht, sondern zielt darauf ab, dass es für unseren Planeten doch deutlich angenehmer wäre, würde die Menschheit einen letzten „Drink, der geht aufs Haus“ nimmt und dann ausstirbt.

Der bislang einzige radiofähige (- das Wort ist ein Schimpfwort! – ) Popsong, der nach meinem derzeitigen Kenntnisstand das Wort „Klima“ in den Lyrics führt und regelmäßig im Radio gespielt wurde/wird, ist – ohne Witz – Silbermonds „Träum ja nur (Hippies)“ (2019). Ein Song, der doch eher sehr, sehr sanft das Thema antippt – und der sich schon in der Titelbezeichnung für ein solches Ansinnen entschuldigt, da man ja nur – wie ein Hippie – träume. OMG.


Ein Blick zurück: „Live Earth“, 2007

2007 hatte Al Gore es geschafft, mittels seines Einflusses als Ex-US-Vizepräsident, beinahe Präsident und als Macher des ein Jahr zuvor weltweit vielrezipierten mit einem Oscar ausgezeichneten Doku-Films An Inconvenient Truth (Eine unbequeme Wahrheit) das Thema „Klimawandel“ ganz oben auf die mediale Agenda zu setzen.

„Al Gore Live Earth Promo“ – eingeleitet durch das Morsezeichen für „S.O.S.“; designed to reach „a political tipping point“

Robert Misik in der Zeit:

  • „Klimaschutz ist hot, oder, was auch ein schönes Wortspiel ergibt: cool. Das Thema Ökologie, das sehr deutsch und auf engen Bahnen seinen Weg um den Erdball begonnen hat – mit Verbots- und Verzichtsjargon, Gegen-Lifestyle und Technikskepsis –, kommt nun sehr amerikanisch wieder zurück: als breite Entertainmentwelle, mit viel Schick und einem großen Löffel Wohlfühlrhetorik. Statt des übellaunigen ‚Wir müssen uns bescheiden‘ jetzt das ermunternde ‚Wir können es schaffen‘. Heute heißt es nicht mehr ‚Jute statt Plastik‘, sondern ‚Hybridauto statt Benzinstinker'“ (2007).

Im Fahrwasser des oben beschriebenen Zeitgeistes lag die Idee nahe, die bestehende Tradition von Mega-All-Star-Konzerten wie Live Aid (L.A. & London, 19851), Nelson Mandela 70th Birthday Tribute-Konzert2, 1988, Live 8 (“Make Poverty History”), 2005 ein weiteres Mal aufzugreifen und ein Konzert zugunsten der ökologischen Erhaltung des Planeten aufzuziehen: Live Earth.

London Opening Live Earth: „This is the greatest show on the planet and for the planet“: „The S.O.S.-All-Stars“ mit dem S.O.S.-Morsezeichen im Song und, am Ende, einer Kombination dieses Morsezeichens mit dem Rhythmus von Queens „We Will Rock You“, with Roger Taylor of Queen, Taylor Hawkins of Foo Fighters and Chad Smith of Red Hot Chili Peppers

Das von Al Gore und dem Musikproduzenten Kevin Wall initiierte Konzert fand am gleichen Tag, am 7.7.07, über einen Zeitraum von etwa 24 Stunden auf allen sieben Kontinenten in Form von elf Konzerten statt. Nicht zufällig fand eines der Konzerte in der japanischen Stadt Kyōto (öffentlich nicht zugänglich im Tempel Tō-ji), in der 1997 das sog. Kyoto-Protokoll, das seinerzeit entscheidende „Klimaabkommen“ unterzeichnet wurde, statt. Sydney, Shanghai, Washington D.C., im „Coca Cola Dome“ in Randburg in Südafrika, East Rutherford bei Manhattan, N.Y.C., Rio de Janeiro waren Konzertorte.

In Europa gab es mit dem Wembley Stadium in London und dem Hamburger Volksparkstadion gleich zwei Standorte. Bedauerlicherweise waren einige dieser globalen Konzerte – entgegen der Tradition der o.g. vorherigen global wahrgenommenen Charity-Konzerte – mit dem Kauf eines Tickets verbunden. Idee war, mit den Erlösen eine Stiftung zugunsten des Klimaschutzes einzurichten. Doch in der Folge blieben zum Beispiel im Volksparkstadion, wo die Ticketpreise zwischen 47 und 57 Euro lagen, viel zu viele Plätze frei (vgl. wikipedia 2021a).

  • „Außerdem war eine Veranstaltung in Istanbul (Türkei) geplant, die allerdings bereits im Juni mangels Interesse und Sponsoren abgesagt wurde“ (wikipedia 2021a).

Auch zu Hause wurde man an diesem Tag gut mit Musik versorgt – mit rund 125 Acts (mit noch mehr bekannten Künstler*innen), herausgegriffen seien:

  • Black Eyed Peas, James Blunt, Bon Jovi, Kelly Clarkson, Sheryl Crow, Crowded House, Jan Delay, Genesis, Juli, Alicia Keys, Angélique Kidjo, Lenny Krawitz, John Legend, Linkin Park, Madonna, Metallica, Katie Melua, The Red Hot Chilli Peppers, Revolverheld, Rihanna, Shakira, Silbermond, The Smashing Pumpkins, Snow Patrol, Cat Stevens/Yusuf, Roger Waters, Kanye West, Pharell Williams, …

Man sollte dabei nicht übersehen, dass Teil der Tradition von „Live Aid“ & Co ist, es sich zu Hause anzuschauen. (Ein Konzertbesuch kam ohnehin nur für einen Bruchteil der am Ereignis emotional Teilnehmenden in Frage. Gewissermaßen droht man sogar eine Menge zu verpassen, wenn man zu einem einzelnen Konzert fährt.)

Es lag nahe, auch die Antarktis mit in die Aktion einzubeziehen. So oblag es den Forscher*innen der britischen Rothera-Forschungsstation hier per vorproduziertem Video eine sagen wir liebenswürdige Musikdarbietung beizusteuern.

Nunatak: „Would You Do It All Again“, 2007; 31.000 Aufrufe, „[A]uch wenn die Meteorologen die Töne nicht genau treffen sollten – es geht ja nur um das Symbol: Die Welt schließt sich zusammen, damit aus dem ewigen Eis nicht bald Matsch wird“ (Misik 2007). Line Up für die beiden gespielten Songs „How many people“ und „Would you do it all again?“: Matt Balmer, physics engineer on vocals and guitar; Tris Thorne, communications engineer on fiddle; Ali Massey, marine biologist on sax; Roger Stilwell, polar guide on bass guitar and Rob Webster, meteorologist on drums.
  • „What must surely be the coolest gig in this summer’s Live Earth concerts takes place at the British Antarctic Survey’s (BAS) Rothera Research Station. On 7 July the science team’s indie-rock house band, Nunatak* 3 will debut in the global event that features over 100 of the world’s top musical acts“ (BAC 2007).

Hauptsponsor des globalen Ereignisses war Microsoft, als weitere Sponsoren fungierten PepsiCo, eBay und Philips.

  • „Smart übernahm den Shuttle-Service und sponserte das Konzert in Deutschland, während Chevrolet den offiziellen englischsprachigen „Live Earth“-Internetauftritts bei msn.com präsentierte. Kritiker bemängelten insbesondere die starke Verknüpfung des Umweltschutzgedankens mit kommerziellen Interessen“ (wikipedia 2021a).

Die weltweite TV-Übertragung wurde z.B. in Deutschland gekoppelt mit der Sendung von Al Gores Film-Doku Eine unbequeme Wahrheit.

Die allermeisten Songs dieses Konzerttages hatten nichts mit Klima, Massenaussterben oder Mitwelt zu tun – es waren, wie schon bei „Live Aid“ & Co typische Kurzauftritte, bei denen Musiker*innen in erster Linie die Musikstücke präsentierten, die das Publikum von ihnen erwartete, d.h. ihre Hits.

Der o.g. Opening Act S.O.S. Allstars bildet somit eine inhaltliche Ausnahme – gemeinsam mit Melissa Etheridges „I Need To Wake Up“, welches dem Soundtrack von An Unconvenient Truth entstammt.

Und dann gab es dann noch Madonnas „Hey You“, welches textlich nicht gerade „explizit“ auf die Klimakrise hinweist, sondern nur darauf, dass wir die Fäden zur Veränderung noch in den Händen halten.

„Hey, you, don’t you give up
It’s not so bad
There’s still a chance for us…
Keep it together, you’ll make it all right…“

Das dazugehörige Video wird ab der zweiten Strophe dann schon deutlicher, in dem eine Reihe humaner und ökologischer Verwerfungen visuell jeweils kurz angetickt werden. Das Ganze endet in einer Apotheose, in der kurz Zerstörung geheilt (vgl. „Earth Song„) und eine Vision entworfen wird, wie schön doch alles ein könnte…

>> s.a. Madonna: „Wake Up“ beim Eurovision Song Contest (ESC), 2019 in Abschnitt Statements und Aktionen.

Alles in allem wurden bei „Live Earth“ inhaltliche Bezüge vor allem durch Ansagen der Musiker*innen sowie der zahlreichen Promi-Moderator*innen hergestellt – und sicher auch durch diverse Interviews im zeitlichen Umfeld dieses Ereignisses.

Erläuterungen 1-3

1 Symbolträchtig für den damaligen Zeitgeist war der „Zwei-Kontinent-Auftritt“ von Phil Collins, der zunächst in London auf der Bühne stand, um dann per Hubschrauber, per Concorde und ein weiteres Mal per Hubschrauber von London nach Philadelphia zu fliegen, um dann wenige Stunden später u.a. bei der Led Zeppelin-Reunion als Drummer mitzuwirken (vgl. Menge/Leim 2019).

Zu erwähnen ist zudem, dass Live Aid einige Charity-Singles vorausgingen:

  • UK = Band Aid: „Do They Know It’s Christmas“, Vorweihnachten 1984, initiiert u.a. von Bob Geldof, der dann eben seine Energie in „Live Aid“ steckte.
  • US = U.S.A. For Africa: „We Are The World“, 1985
  • Und dann gab es noch tatsächlich ein bundesdeutsches Charity-Projekt namens Band für Afrika, das 1985 einen Who’s Who-Auftritt hatte bei Formel Eins – es sind wirklich sämtliche relevanten bundesdeutschen Popmusiker*innen der ersten Hälfte der 1980er Jahre dabei und alle persönlich anwesend! – mit dem textlich recht drastischen „Nackt im Wind“, s. https://youtu.be/E9mEfuRQbjk (Abrufdatum 29.4.2022), verfasst von Herbert Grönemeyer und Wolfgang Niedecken:
  • ‚Hier fordern Sünden unserer Ahnen
    Unsere Stumpfheit ein Tribut
    „Keine Gefangenen“ die Parole
    Hier wird bezahlt mit Fleisch und Blut
    Nackt im Wind, der brüllt und wütet
    Im Orkan, der Menschen frisst
    Nackt im Wind, der planlos tötet
    Weil er weiß, dass man ihn schnell vergisst‘

2 Nelson Mandela wurde 20 Monate nach dem Konzert aus der lebenslangen Haft entlassen, d.h. nach 27 Jahren.

3 Nunatak „bezeichnet in der Glaziologie einen isolierten, über die Oberfläche von Gletschern und Inlandeismassen aufragenden Felsen oder Berg“ (wikipedia 2021b).

Live Earth & die CO2-Emissionen

Der Spiegel (bzw. ClimatePartner) errechnete damals überschlägig, was für Live Earth global an CO2 rausgehauen wurde – und kam zu einer grundlegenden Erkenntnis, die für die Live-(Musik-)Entertainment-Industrie und damit für die Ausführungen dieses Webprojektes, aber auch für Sportgroßereignisse, von extrem großer Bedeutung ist: Der Löwenanteil der CO2-Emissionen entstand durch die Anreise und Unterbringung des Konzertpublikums.

  • „Für Besucher des New Yorker Konzerts ist die durchschnittliche Klimabilanz … [im Unterschied z.B. zum Hamburger Konzert) etwas schlechter, weil man mit mehr Anreisen [ – 10 bis 15 Prozent- ] per Flugzeug rechnen müsse“ (Spiegel 2007).

Während für die Emissionen durch Künstler*innen und deren Crew etwa 5.000 t CO2 kalkuliert wurden, ging man in Puncto Emissionen „Anreise/Unterbringung Publikum“ von etwa 97.000 t CO2 aus. Der Transport des Equipment schlug mit 126 t, die Emissionen des Personals vor Ort mit 126 t zu Buche. Inklusive eines „Sicherheitsaufschlag[es] für andere Emissionsquellen“ von 15% rechnete der Spiegel mit 110.000 t CO2 für dieses eintägige Konzertgroßereignis (vgl. ebd.).

  • „Elektrisches Licht und die Beschallung sind bei ‚Live Earth‘ noch die kleinsten klimabelastenden Faktoren“ (ebd.).

Damit ist der größte Klimafaktor der (Musik-)Live-Branche hinreichend dargestellt: Das reisende Publikum. Das ist selbstredend kein auf die Musikbranche zu reduzierendes Problem. Ganz allgemein wird es künftig nicht mehr möglich sein, dass Menschen aus aller Welt zu Großerereignissen einfliegen: Wir reden hier über das Freizeit- und Reiseverhalten der gesamten frühindustrialisierten Welt.

>> Zu weiteren Zukunfts-Herausforderungen, der sich der Bereich ‚Musikindustrie/Live-Entertainment‘ gegenübersieht siehe Abschnitt Musikindustrie, Live-Entertainment & zukunftsfähige Emissionsfreiheit.


Heute.

Das Momentum von „Live Earth“ ist schon lange verblasst. Seitdem ist nichts in Sachen Musik/Klimakrise/Massenaussterben passiert, was dieser Größenordnung auch nur nahekäme. Gleichwohl sind Musiker*innen selbstredend nicht allesamt still geblieben.

Im Abschnitt „Statements und Aktionen“ sind ebensolche zusammengetragen, von Aktionen des politischen Starpianisten Igor Levit, über Peter Maffays Versuch, in einem ganzen Buch sein Bild von der Zukunft zu umreißen, dem Aufreger des Jahres 2019 in Form von „Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau“ bis hin zu einem musikbeinhaltenden UN-Projekt, in welchem u.a. Julia Roberts mit ihrer Stimme zu hochgradig wirkungsvollen Bildern Mother Nature verkörpert. In ähnlicher Weise greift der Abschnitt E-Musik gezielt solche Aktionen heraus, die im Bereich der sog. Ernsten Musik dem Themenkreis ‚Klimakrise/Massenaussterben‘ gewidmet sind. So bespielt z.B. Ludovico Einaudi für Greenpeace inmitten von Eisbergen seinen Flügel – und die Vier Jahreszeiten erklingen in der Elbphilharmonie computerberechnet den heutigen Natur-Gegebenheiten angepasst mit weniger Vögeln und mit früher einsetzenden Jahreszeiten sowie mehr Extremwetter.

Andererseits wird Musik auch – z.B. in Reklamefilmchen der Auto- und Energieindustrie zwecks ‚Greenwashing‘ eingesetzt, siehe Abschnitt Greenwashing und Musik. Ein ganz anders gelagertes Beispiel: Fan-Kreuzfahrten. Sie sind Ausdruck einer Fehlentwicklung, die im Interesse einer zukunftsfähigen Gesellschaft umgehend zu unterlassen sind. Unangenehm systemstabilisierend wirken auch Songs, die – wie im HipHop typisch – hedonistisch-partriarchal daherkommen sowie Songs, die vom Fliegen und vom globalen Umherreisen schwärmen und im 21. Jahrhundert nicht länger so harmlos daherkommen wie einst Reinhard Meys „Über den Wolken“ aus dem Jahre 1974.

Auffällig ist, dass die treffendsten, den Themenbereich Klimakrise/Massenaussterben am deutlichsten ansprechenden Songs im Bereich Satire/Kabarett/Comedy anzutreffen sind. Hier handelt es sich i.d.R. um Coverversionen, die mit einem neuen Text die Wirklichkeit übersteigern, vgl. z.B. Carolin Kebekus feat. Luisa Neubauer mit dem „Mars Song“, der den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst den „Earth Song“ inhaltlich übersteigert weitererzählt, s. Abschnitt Songs (Satire, Kabarett, Comedy).


Juli 2022: Presseerklärung ‚Sommerhits? Es braucht Klimakrisenhits.‘

Unter diesem Titel geben wir, die Autoren von Klimasongs.de und Klimasongs.at, eine Presseerklärung heraus und fragen dort:

  • „Wo sind sie, die Songs zur Klimakrise? Es brennt in Europa… ‚Wann haben Sie zum letzten Mal einen Klimasong im Radio gehört? Es gibt eine Reihe davon, aber für einen „We Are The World“-Moment reicht es bislang nicht… Gemessen am Ausmaß der globalen Umweltkrise sind es … [alles in allem] wenige [Menschheitskrisensongs], auffallend wenige. Bestürzend finde ich, dass umgekehrt die brutalstmögliche Mobilitätsform – das Fliegen – nach wie vor radiotauglich in hedonistischen Songs gehypt wird.‘

Auffällig ist auch, dass es statt eines Klimakrisenhits tatsächlich nach langen Jahren mal wieder in GSA (Germany/Switzerland/Austria) einen ‚echten‘, längerfristig Chart-dominierenden Sommerhit gibt: ‚Layla‘ von DJ Robin & Schürze.
Aus kulturwissenschaftlicher Sicht ist dazu zu sagen, dass ein Hit i.d.R. nicht allein deshalb ein Hit wird, weil er ‚eine ’ne tolle Melodie hat‘ (was hier auch m.E. nicht wirklich der Fall ist): Ein Hit wird ein Hit, weil er den Zeitgeist aufnimmt und verkörpert…
Viele Medien haben sich zu diesem Song bereits geäußert – ich möchte eine weitere Perspektive hinzufügen:

  • Voilà, da ist er, der erste veritable Anti-Klimakrisenhit, der Hit zum Augen-zu-machen, der Oops-die-Titanic-geht-unter-Jetzt-feiern-wir-erst-recht-Ballermann-Goes-Germany-Hit.

Letztlich darf der Erfolg von ‚Layla‘ (und dem Trittrettfahrer ‚Olivia‘) nicht verwundern, da die rückwärtsgewandte Nicht-Message des Songs vollständig der derzeit etwas ratlos machenden Beobachtung entspricht, dass die Realitätsverweigerung bei vielen Menschen m.E. noch stärker wird als ohnehin schon in den letzten Jahren – angesichts der derzeitigen eskalierenden multiplen Krise der Mitwelt.

Abschließend halten wir in unserer Presseerklärung fest:

  • „Es ist an der Zeit, dass sich Musiker:innen vermehrt dieses – brennenden – Themas annehmen und ihre Verantwortung als Vorbilder und Multiplikator:innen stärker wahrnehmen. Die Seiten klimasongs.de und klimasongs.at sollen dafür Unterstützung sein.“

Nocheinmal: „Where Are All the Climate Songs?

Zurückkommend auf die Ausgangsfrage/-these „Where are all the climate songs?“ bzw. der Grundannahme, dass im Unterschied zu früheren gesellschaftlich-politischen Krisen Musiker*innen relativ still sind ist festzuhalten, dass

  • es einerseits viel mehr Material gibt, als der erste Blick nahelegt, dass
  • andererseits aber dieses Material in Relation zur größten Herausforderung der Menschheit eben doch merkwürdig wenig erscheint.

Dieser Befund entspricht m.E. dem derzeitigen Zustand der Gesellschaft und Weltgemeinschaft, die sich nach wie vor mit dem eigenen Überleben, mit der Bewahrung der Zivilisation nicht wirklich beschäftigen mag, weil das unangenehm ist und mit einem für viele Menschen der frühinustrialisierten Staaten inakzeptablen „Weniger“ verbunden ist. (Als hätten sie die Wahl!). Dass durch die eigene Passivität das milliardenfache Sterben der nächsten Generation in Kauf genommen wird steht im krassest-möglichenGegensatz zum althergebrachten gelebten Generationenvertrag, der mindestens seit Jahrhunderten besagte, dass es die (eigenen) Kinder mal besser haben sollen als man selbst.

Musik wirkt derzeit vorrangig System-stabiliserend. Musiker*innen sind Multiplikatoren und in diesem Sinne machtvoll und mit Verantwortung belegt. Menschen brauchen Fakten in Geschichten verpackt, um sie emotional begreifen zu können. Die rationalen Worte von Klimaforscher*innen gleiten ab. Songs gehen tiefer. Fan-Bindungen reichen tiefer. Kulturschaffen war noch nie so wichtig wie heute. Musik hat die Macht, System-transformierend zu wirken. Liebe Mitmusiker*innen, Ihr seid dran. Die Menschheit braucht Euch.

Marc Pendzich, im August 2022


Quellen des Abschnitts Musikkultur, Musiker*innen & die Überlebenskrise der Menschheit: Ein Essay.