Musikindustrie, Live-Entertainment & zukunftsfähige Emissionsfreiheit

CC-BY-SA-3.0 KristaLeanne
CC-BY-SA-3.0 KristaLeanne

Rock’n’Roll und Genügsamkeit sind – historisch und bis auf Weiteres – ein ungleiches Paar. Tatsächlich hat insbesondere die Major-Musikindustrie jahrzehntelang das Bild eines ‚exzessiven Rock’n’Roll-Hedonismus‘ gepflegt.

Beispielsweise

  • bekam der introvertierte Mike Oldfield 1973 eine Luxus-Karosse von Richard Branson gestellt, damit er sich überwindet und einmalig für die Uraufführung der Orchesterversion von Tubular Bells auf die Bühne geht, um dort für ein paar Minuten zur Gitarre zu greifen. Immerhin hat er den Wagen nicht gleich in den Swimming Pool gesteuert – wie es Keith Moon von The Who getan haben soll. Apropos The Who: Beispielsweise…
  • zählten bei den frühen The Who die obligatorischen Hotel-Einrichtungszerstörungen zum „guten Ton“ – und die allabendlich-finale Zerlegung des gesamten Bühnenequipments diente als dezenter Hinweis auch für die*den zugekiffteste*n Zuschauer*in, dass die Show nun unwiderrruflich zu Ende ist…
  • ging die Promotion eines Musikalbums auch schon mal unter Einladung der internationalen Musikpresse im Jumbojet vonstatten…
  • etc pp.

Inzwischen ist die Musikindustrie (Recording Industry) qua Digitalisierung und Verlust ihres Kerngeschäfts „Tonträger“ stark geschrumpft und kann sich solche Eskapaden kaum noch leisten.

Das gilt jedoch nicht fürs „Live Entertainment“, in der – lassen wir die Corona-Jahre als Ausnahmesituation beiseite – gern noch auf die ganz große Geste gesetzt wird.

Sensation. Die Stones landen in Fuhlsbüttel. 2017. Erstaunlich finde ich „Flight Spotting“… ich schlage vor, dieses gähnend langweilige Video eher zappend durchzuklicken.

Doch letztlich wirkt die Privatjet-Groß-Rock’n’Roller-Attitüde z.B. der Rolling Stones mittlerweile irritierend.

Und selbst wenn man solche überkonsumistischen Glamour-Verhaltensweisen eindämmt – bis zu einer emissionsfreien, ressourcenschonenden Musikproduktion bzw. zu einem gleichgelagerten Live-Entertainment ist es noch ein sehr weiter Weg.

Diesen Weg, neue Ideen und Inspirationen sowie zu verzeichnende Fortschritte dokumentiere ich in den folgenden Absätzen.


Bad news: Plastikstrohhalme abschaffen reicht nicht.

Den Ausführungen voranstellen möchte ich dieses Zitat des Klimatologen Anders Levermann:

  • „Wir brauchen nicht weniger Emissionen, wir brauchen null Emissionen. Null! Das ist etwas anderes als Emissionen verringern. Etwas fundamental anderes, wenn sie mit Wirtschaftsvertretern sprechen. Verringern bedeutet, ich mache etwas weniger, und das wollen Wirtschaftsvertreter nicht. Null Emissionen heißt, ich mache etwas anders (2020).

Live-Entertainent und die ‚grüne Null‘.

Derweil läuft es bei post-Stones-Musiker*innen-Generationen bereits durchaus anders als im Tonträgerzeitalter:

  • „Nachgewachsene Rockbands wie Radiohead bewegen sich auf Konzertreisen lieber mit der Bahn von Stadion zu Stadion, um die Ozonschicht zu schonen“ (Dallach 2017). [Beim Fliegen geht es nicht vorrangig um die Ozon-Schicht, sondern um CO2, Herr Dallach. Das wusste man auch schon 2017. Und was genau sind nachgewachsene Bands? Arbeiten Sie wirklich für den Spiegel?]
  • „Der Sänger der britischen Band Coldplay kündigte an, die Band werde auf eine Tour zum neuesten Album [von 2019] verzichten. Bevor sie wieder Konzerte geben, wollen die Musiker herausfinden, wie diese möglichst nachhaltig werden können“ (Flatley 2019).

Karl Fluch führt im Standard dazu aus:

  • „Die Band denkt darüber nach, ihren Fans öffentliche und subventionierte Verkehrsmittel anzubieten, möglicherweise in Zusammenhang mit günstigeren Tickets. Und sie will Plastik zur Gänze aus den Stadien verbannen. Es gehe darum, das Wohlergehen des Planeten über alles andere zu stellen, sagte Martin. Coldplay will in Zusammenarbeit mit Umweltschutzorganisationen Lösungen erarbeiten, die das Verhältnis von Geben zu Nehmen für Bands in Richtung Geben verschiebt. Dafür will die Band in neue Technologie investieren. Das kann sich leisten, wer, wie Coldplay, mit der letzten Welttournee eine halbe Milliarde Dollar verdient hat“ (2020).

>> s.a. Video-Interview bei der BBC: https://www.bbc.com/news/entertainment-arts-50490700 (Abrufdatum 23.6.2021)

Im September 2021 veröffentlichten Coldplay ein neues Album – und gehen damit auf Tour:

Chris Martin:

  • „2019 haben wir versehentlich in einem Interview gesagt, wir würden nicht mehr auf Tour gehen, bis es nicht sauberer sei. Danach dachten wir: ‚Oh, verdammt, now we’re fucked‚. Dann traten aber all diese Unternehmen an uns heran, Leute, die über neue Methoden zum Bühnentransport oder -aufbau nachdachten, neue Batteriesysteme erforschten, eine Art von Carsharing für Trucks. Wenn wir also auf Tournee gehen, wird es definitiv eine Verbesserung sein“ (zit. in Frank 2021).

Versehentlich? Coldplay sind seit 25 Jahren professionelle Medien-Player. Das ist unprofessionell und überaus enttäuschend.

Guy Berryman:

  • „… Es wird nicht perfekt sein. Worüber wir aber gerade nachdenken, worauf wir uns gerade konzentrieren, das könnte wichtige Pionierarbeit sein. Etwas, das auch von anderen genutzt werden könnte, die mit viel Material um den Globus ziehen, von Bands auf Welttournee bis zum Formel-1-Zirkus“ (ebd.).

Aus „CO2-neutral“ ist mittlerweile „CO2-neutraler“ geworden, wie man z.B. in einer SAP-Marketing-Anzeige rund um eine App nachlesen kann, welche es Coldplay-Fans ermöglichen soll, den Konzertbesuch bzw. die Anreise weniger CO2-intensiv zu gestalten:

  • „Schon vorab machten die Musiker rund um Frontman Chris Martin Schlagzeilen und kündigten an, all ihre Konzerte weltweit CO2-neutraler gestalten zu wollen. Um diese wichtigen Nachhaltigkeitsziele bestmöglich umzusetzen, hat Coldplay mit SAP zusammengearbeitet und eine eigene App für Fans herausgebracht.“ (SAP 2022)

Hey, SAP, das ist klimaschädliches Marketing-Deutsch: „CO2-neutraler„… was soll das sein? Was kommt als nächstes? „klimaneutral… klimaneutraler… am klimaneutralsten“?

Es sei die „umweltfreundlichste Tournee der Bandgeschichte“ (ebd.). Klingt gut, sagst aber wenig aus. Weiter im SAP-Sprech: Die Musiker (nicht nur von Coldplay)

  • „müssen samt Crew teils um den gesamten Globus reisen – inklusive des immer aufwändiger gestalteten Bühnenequipments. Lasertechnik oder auch riesige LED-Bildschirme sind inzwischen fast zum Standard geworden und verbrauchen zudem Unmengen an Energie“.

Ähem, müssen „Musiker samt Crew … um den gesamten Globus reisen“? Müssen sie das tun „inklusive des immer aufwändiger gestalteten Bühnenequipments“? Müssen sie den „Standard“ erfüllen? Das Wort „weniger“ kommt bei SAP auf jeden Fall nicht vor. Für den „Wir haben nichts wirklich verstanden“-Text gibts ne „6“, wohlgemerkt für SAP , nicht für Coldplay.

Die App selbst ist ein nettes Spielzeug, dass sicher die*den ein*e oder andere:n Nutzer*in findet…

  • „Konzertbesucher, die sich entscheiden, die klimafreundlichen Optionen zu nutzen, erhalten als Dankeschön Rabattcodes für Merchandise-Artikel im Online-Shop von Coldplay.“ (ebd.)

Nicht schlecht – und vor zehn Jahren hätte ich an dieser Stelle vielleicht sogar noch applaudiert. Aber jetzt, jetzt ich schreibe diese Zeilen, während ‚Europa brennt‘ im Juli 2022.

„Nicht schlecht“ ist eben nicht gut. Nicht gut genug im Jahr 2022. Wir müssten wo ganz anders stehen. Coldplay gehen voran, das ist prima. Der eigentliche Befund lautet jedoch: Es ist dramatisch, dass Coldplay mit diesen Maßnahmen Pioniere sind.

Für SAP bietet der neue Geschäftspartner Coldplay derweil eine wunderbare kulturwashing-Gelegenheit, um sich als Nachhaltigkeitspartner für sämtliche Wirtschaftsbranchen zu präsentieren, damit man vereint „[d]em Klimawandel mit digitalen Lösungen entgegenwirken“ (ebd.) könne.

Hinzu kommt, dass sich Coldplay für diese „klimaneutralere“ Tour eine finnische Ölgesellschaft namens Neste an Bord geholt haben:

  • „Die Ölgesellschaft soll laut eigenen Angaben der weltweit größte Produzent nachhaltiger Biokraftstoffe sein [und um die Nutzung selbiger ging es Coldplay für ihre Tour]. Doch laut einer Studie von Friends of the Earth sollen durch Palmöllieferanten des Unternehmens zwischen 2019 und 2020 in Ländern wie Indonesien und Malaysia mindestens 10.000 Hektar gerodet worden sein.“ (Braatz 2022)

Dazu ist festzuhalten: Biokraftstoffe sind nicht die Zukunft. Die Menschheit benötigt die Felder (auch die allermeisten Felder, auf denen derzeit Tiere stehen bzw. Tierfutter angebaut wird) für die Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln.

SAP, Neste – und BMW: Das sind die großen, CO2-Schwergewichte, mit denen sich Coldplay im Rahmen ihrer Klimaneutralerwerdung umgeben. Nur eines ist offensichtlich nicht denkbar: Die Sache eine Nummer kleiner durchzuziehen.

Es bleibt: enttäuschend.

>> Weiteres zu Coldplay s.a. Abschnitt Greenwashing und Musik


Das bisher Beschriebene bedeutet vielleicht einen kleinen Schritt nach vorne, mag sein, dennoch bleibt es bis auf Weiteres bei folgendem Befund:

  • „‚Die Industrie lebt von Mobilität, Materialität und Ressourcenverbrauch‘, sagt der Musikwissenschaftler Wolf-Georg Zaddach, der das Thema an der Hochschule für Musik in Weimar sowie der Leuphana-Universität Lüneburg untersucht“ (Schrader 2021).

Und wenn selbst wenn man als hochpopuläre*r Musiker*in Ressourcen-schonende Shows produziert, den Green Touring Guide der Popakademie Mannheim bzw. des Green Touring Network beherzigt und mit der Bahn anreist – das Verhalten der Fans entwickelt (derzeit und bis auf weiteres) seine ganz eigene Dynamik:

Der Moment, in dem der Sänger der Band Vulfpeck im ausverkauften New Yorker Madison Square Garden fragt, wer aus dem Publikum per Flugzeug angereist ist:

Minute 1:18:30: Vulfpeck: Live at Madison Square Garden – „Christmas in L.A. (Intro)“ – 2019.

Letztlich reden wir – und das wird an obigem „Wer ist für dieses Konzert eingeflogen?“-Passus symbolisch sehr schön deutlich – hier von einer Herausforderung, die die gesamte Gesellschaft aller Gesellschaften der frühindustrialisierten Länder betrifft. Das gewaltige Gesellschaftsproblem des HöherSchnellerWeiter findet in der seit jeher mit Freizeit, Event & Eskapismus hedonistisch-materialistisch verknüpften (Rock-)Musikkultur ihren besonders deutlichen Ausdruck.

Man kann diesen hier niedergeschriebenen Beitrag daher auch als grundlegende Darstellung des Gesellschaftsproblems, welches seinen symptomatischen Ausdruck in Klimakrise und Massenaussterben findet, lesen. Und anhand dieses Aspektes der Lebensgewohnheiten der Bürger*innen der frühindustrialiserten Nationen analysieren, was künftig noch geht – und was nicht.

Die Anreise der Zuschauer*innen trägt am meisten zur ökologischen Schieflage bei.

So war es auch bei Live Earth im Jahre 2007:

Live Earth 2007 = Emissionen „Anreise/Unterbringung Publikum“ = etwa 97.000 t CO2 von insgesamt 110.000 t CO2 | Das bedeutet das 88% aller Emissionen durch die teilweise um den halben Globus anreisenden Zuschauer verursacht wurden. (vgl. Abschnitt Krisenmusik. Ein Essay.)

Für Wacken & Co wird dieser Faktor ebenfalls sehr hoch sein. Radiohead stellten 2007 fest, dass „Fans … 86% der CO2‐Emissionen der Theater‐Tour und 97% der Amphitheater‐Tour [verursachten]“ (Giese et al.).

Bei mehrtägigen Musikfestivals reicht es mittlerweile vielen Anreisenden nicht mehr, ein kleines Zelt aufzubauen. Statt dessen stehen jetzt vielfach Stromgeneratoren zwischen den mondänen Wohnstätten…
Ich stelle die These auf: Je größer der Act bzw. das Event, desto größer auch der Anreise&Publikums-CO2-Impact.

Fest steht: Einer der größten ökologischen Hebel ist die Anreise der Vielen, nicht etwa Transport der Bühne oder die Anreise der Musiker*innen.
Und dieser Anreise-Impact ist – simpel genug – nur durch exakt eine bestimmte Maßnahme zu vermeiden: Unterlassung.

Es ist ganz klar: Einfliegen für Konzerte, Musikfestivals, ESC und Opernabende (s.u. Abschnitt E-Musik als live-Entertainment: Globales Orchesterleben) sowie Sportereignisse wie Weltmeisterschaften und Olympia kann und wird künftig in einer emissionsfreien Welt nicht stattfinden.

>> Das hat durchaus Vorteile: Bei einem Event in der eigenen Stadt oder Region kann man dabei sein, ohne bei der Ticketbeschaffung einer globalen Konkurrenz und entsprechenden Ticket-Kontingente ausgesetzt zu sein.


Zukunft des Live-Entertainments: Recuce to the Max

Bleiben die weiteren Faktoren abseits der Fan-Anreise, die in einer Null-Emissionen-Welt ebenfalls zu vermeiden sind. Hier empfehle ich „Reduce to the Max“:

  • Die besten Konzerte sind doch i.d.R. die, bei denen eine Begegnung stattfindet – zwischen den Musikerinnen, den Musikern, der Kunst und dem Publikum, dass durchaus tausende Menschen umfassen kann. Materialschlachten à la Pink Floyd, Genesis, Kiss, Rolling Stones etc. waren sicher ’nice to have‘, aber wenn man die Wahl gehabt hätte, Pink Floyd in einem Club-Konzert zu erleben oder bei der „Wir sind mit zwölf Trucks vor Ort“-Tournee, für welches Konzert hätten Sie sich mutmaßlich entschieden?

Bands können in einem besser ausgebauten Schienennetz mit der Bahn reisen. Sogar im Schlafwagen. Meinetwegen können sie sich einen eigenen Waggon mieten… Auch NightLiner können mit Ökostrom konzipiert sein. Und man kann mehrfach an einem Ort spielen. Ja, tatsächlich, das geht.

Bands können durch Musik bestechen – statt wie so oft seit den späten 1970er Jahren durch „Materialschlachten“. Was braucht eine Band wirklich um eine gute Band zu sein, um zu entertainen und ihren Fans einen guten Abend zu bereiten? Musik. Bühnenpräsenz. Guten Sound. Spannende Zwischenansagen, Audience Participation Time.

Man muss es ja nicht so weit treiben wie Chuck Berry, der die allermeisten Konzerte seines langen Tourneelebens bestritten hat, in dem er eine passende ortsansässige Begleitband buchen oder zusammenstellen ließ und dann etwa 20 Minuten vor Konzertbeginn mit seinem Gitarrenkoffer in der Garderobe erschien. Aber das Beispiel zeigt, dass da noch deutliche „Reduce-To-The-Max“-Potenziale bestehen.

Der Green Touring Guide der Popakademie Baden-Wüttemberg von 2017, der bedauerlicherweise bislang kein Update erhalten hat (Stand Juli 20221) und daher – gleichwohl ich die Pionierleistung der Autor*innen an dieser Stelle ausdrücklich hervorheben möchte – in der zu dieser Zeit noch üblichen, aus heutiger Sicht jedoch unangenehmen 5-vor-12-Rhetorik verharrt, bemüht sich gleich zu Anfang darum, potenzielle Nutzer*innen nicht zu verschrecken:

  • „Green Touring soll nicht heißen, dass ab jetzt alle Strecken mit der Bahn zurückgelegt, sämtliche Verstärker ausgemustert, alle Mahlzeiten durch Dinkel‐Müsli ersetzt und die Musiker in Zelten übernachten müssen.“ (Giese et al., 2007)

Ja, warum denn eigentlich nicht? Was ist denn das Hauptkriterium? Bequemlichkeit oder Nullemisionen? (Das liest sich wie das fatale Bonmot „Klimaschutz muss Spaß machen“. Nein, muss er nicht. Menschheitsschutz/Zivilisationserhalt ist Pflicht, nicht Kür.) Weiter im Text:

  • „Vielmehr bedeutet es, dass durch ein paar schlaue Maßnahmen in vielen Bereichen das Touren sogar für Musiker noch angenehmer und teilweise sogar kostengünstiger sowie das Live‐Erlebnis für die Fans noch intensiver wird (im positiven Sinne!).“ (Giese et al.)

Es wird m.E. niemals funktionieren, den Menschen eine Null-Emissionswelt mit „Benefits“ als etwas Schickes zu verkaufen. Denn ein Punkt ist mit dem globalen Menschheitsschutz stets untrennbar verbunden: Wir werden Dinge weniger tun und dazu weniger (erneuerbare) Energie und weniger Ressourcen einsetzen. „In die Tasche lügen“ haben wir lange genug gemacht. Hat nicht funktioniert.

Details: Anmerkung zu (1)

1 Die Website greentouring.net verweist mit Stand Juli 2022 darauf, dass man (unter neuer Trägerschaft) an einem Update arbeite. 


E-Musik als Live-Entertainment: Globales Orchesterleben

Auch im Live-Bereich der E-Musik geht es eher hedonistisch zu. Woher nehmen wir Mitbürger*innen bloß das Gefühl der Selbstverständlichkeit, dass beispielsweise die Elbphilharmonie nicht nur von den drei Hamburgischen Orchestern (NDR Elbphilharmonie Orchester, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Symphoniker Hamburg) bespielt wird – und von zahlreichen kleineren Acts aus allen Genres aus allen Ecken der Welt – sondern darüber hinaus auch von diversen europaweit oder auch manchmal interkontinental reisenden Orchestern samt Equipment mit teils über hundert Mitreisenden?

Großbesetzte Gastorchester in der ‚Elphi‘ innerhalb eines knappen Jahres (8/22-6/23), überwiegend für nur einen Auftritt in der Stadt:

  • Ukrainian Freedom Orchestra mit mehrwöchiger Tour durch Europa und USA, Orchestra Română de Tineret, Concertgebouworkest Young (Amsterdam), Prague Symphony Orchestra, WDR Sinfonieorchester, Pittsburgh Symphony Orchestra, The Philadelphia Orchestra, The Cleveland Orchestra, Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia und Coro dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia (Italien), Wiener Philharmoniker, Budapest Festival Orchestra, Zentralschweizer Jugendsinfonieorchester, Balthasar-Neumann-Ensemble (Aus rund 25 Ländern kommen die Musiker für ihre Projekte zusammen.), Nürnberger Symphoniker, Tschechische Philharmonie, Münchner Philharmoniker, Polish National Radio Symphony Orchestra, Philharmonia Orchestra (UK), Tonhalle-Orchester Zürich, Oslo Philharmonic, London Philharmonic Orchestra, Wiener Symphoniker, Sächsische Staatskapelle Dresden, Orchestre National de France, London Symphony Orchestra, Baltic Sea Philharmonic, Orchestre des Champs-Élysées Collegium und Vocale Gent, SWR Symphonieorchester, // MDR-Sinfonieorchester, Bamberger Symphoniker, Wiener Philharmoniker (zum zweiten Mal), Bundesjugendorchester, Netherlands Philharmonic Orchestra, Royal Philharmonic Orchestra, Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia (Italien), Lucerne Festival Contemporary Orchestra, WDR Sinfonieorchester (zum zweiten Mal), Bergen Philharmonic Orchestra, Wiener Symphoniker (zum zweiten Mal), London Symphony Orchestra (zum zweiten Mal), San Francisco Symphony, Orchestre de Paris, hr-Sinfonieorchester, City of Birmingham Symphony Orchestra, Junge Deutsche Philharmonie, Freiburger Barockorchester und Vox Luminis, Luzerner Sinfonieorchester, Göteborgs Symfoniker, Concertgebouworkest (Amsterdam), Wiener Philharmoniker (zum zweiten Mal), Insula orchestra (Fr), Mahler Chamber Orchestra (Musiker:innen aus ca. 20 Ländern), Sächsische Staatskapelle Dresden (zum zweiten Mal), Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen.

Nun könnte man lange darüber philosophieren, wie man solche Orchesterreisen hinsichtlich Energie- und Ressourcenverbrauch optimieren könnte. To keep a long story short: Das geht nicht emissionsfrei. Das geht nicht mehr. Es ist vorbei. Es nur noch niemand so recht bemerkt.


Die Erkenntnis, dass Live-Entertainment in E&U – wie es bisher läuft -, im Sinne einer unabdingbaren Emissionsfreiheit nur begrenzt optimiert werden kann, steht also aus.

Musiker*innen verdienen nach dem Wegfall des Geschäftsmodells „Tonträger“ potenziell Geld mit Live-Konzerten (zumindest wenn sie einen Namen haben) – sowie mit Merchandising:


Merchandising

Merchandise-Artikel sind traditionell „Nippes“ – wir reden über Hingucker zum Hinstellen. Merch erfüllt ähnliche Bedürfnisse wie Reiseandenken. Man kauft sie – und die allermeisten derartigen Impulskäufe stehen entweder in der Ecke, originalverpackt im Keller oder wandern nach Rückkehr vom Event baldigst in der Tonne.

Fan-T-Shirts mögen hier eine Ausnahme darstellen. Die Mindestforderung lautet hier, dass selbige regional unter ethisch korrekten Arbeitsbedingungen produziert zu sein haben. Eine Statistik über den Anteil fairer Fan-T-Shirts gibt es nicht. Die wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel.

Die deutsche Sängerin Mine hat beispielsweise bei ihrem Songbook auf Plastikfolie verzichtet. Das ist zwar nicht viel, aber es zeigt das Umdenken in der Branche.“ (Freches 2020)
Dazu der Autor des Webportals Musik-und-Klimakrise: „Wollt Ihr mich verarschen? The House Is On Fire. Wenn der Verzicht auf Plastikeinhüllung dem Deutschlandfunk Nova schon ein Beispiel wert ist, hat niemand seine Hausaufgaben gemacht. Auch nicht der Journalist, von dem dieser absurde Satz stammt. Lidl packt seine Gurken auch nicht mehr in Plastik.

Recording/Recording-Industry & Zukunftsfähigkeit

Im Bereich „Musikproduktion“ bzw. „Musikproduktionsindustrie“ gilt es zunächst ersteinmal Maßnahmen umzusetzen, die andere Büro-gestützte Branchen ebenso ergreifen können/sollen/müssen:

Echter Ökostrom oder eigene Solarzellen | Zoom statt Flugplatz | vegetarische oder sogar vegane Caterings bio&regional & eine ebensolche Kantine – auch zur Gesundheitsförderung der Mitarbeitenden | digitale Infrastrukturen | Bankgeschäfte bei zukunftsfähiger Bank | Green Webhosting | Energie-optimierte ’schlanke‘ Website | zusätzlich zu allen Maßnahmen Nutzung von Open-Source-Software | Abschaffung von umfangreichen Büroetagen zugunsten mehr Home-Office | Dienstfahrräder/Dienst-E-Bikes | Angebot einer ÖPNV-Proficard | Prinzipielle Ablehnung der Firma betreffend Flugdienstreisen | Ermöglichung von terranen Reisen/Urlauben der Mitarbeitenden durch zusätzliche Urlaubstage bzw. Freizeitausgleich | langfristige Gerätenutzung, Reparatur statt Neukauf | Secondhand/Upcycling wo immer möglich | konkret (Studio-)PC-Reparatur mit Secondhand erworbenen Bauteilen | Allgemein nicht ausschließlich nach (Einkaufs-)Preis gehen, sondern sich Geschäftspartner*innen, Auftragnehmer*innen, Instrumentenhersteller (u.a. Tropenholz), Firmen sowie Lieferkette samt Zulieferer hinsichtlich Arbeitsbedingungen, Ressourcen, Transportwege und Energie genau anschauen und ggf. entsprechende Forderungen stellen bzw. Zertifizierungen einfordern | Gesellschaftsform-Umwidmung der Firma zugunsten der Mitarbeitenden | Firmen-interne volle Lohntransparenz zugunsten gleicher Arbeit für gleichen Lohn | Einführung von paritätischer Vergabe von Arbeitsplätzen (40:60 | 60:40) sowie massive Förderung von weiblich gelesenen Musikacts | Klimabilanzierung sowie zusätzlich CO2-Kompensation.

Ein in meinen Augen sehr gelungenes Beispiel bietet in diesem Zusammenhang Florian Siller mit seiner Firma Flo Siller Mastering, die Musik-Mastering mit einem zukunftsfähigen „planet-friendly“-Ansatz betreibt. Seine äußerst ’schlanke‘, Energie-optimierte Website sowie den aktuellen Stand des Weges zur Emissionsfreiheit seiner Firma kann man im Environmental Action Plan 2021 einsehen.

Transparenz-Hinweis: Die Musikproduktionen des Autors dieses Webportals, Marc Pendzich, werden seit vielen Jahren von Florian Siller gemastered.

Es gilt aber auch: In einem von Steigerungslogiken dominierten ökonomischen System ist vollendete Zukunftsfähigkeit nicht möglich. Das bedeutet, dass sich Geschäftsführende auf politischer Ebene für eine gesamtgesellschaftliche Transformation einsetzen können/dürfen/sollen/müssen: bei Politiker*innengesprächen, Kongressen, Messen, Forderungskatalogen etc. pp.


Fazit

Alles in allem gilt für das Live-Entertainment und sämtliche Bereiche der Musikindustrie das gleiche, was für die gesamte Gesellschaft gilt: Reduce To The Max. Viele Dinge sind nur durch Suffizienz zu erreichen, d.h. durch Unterlassung bzw. eine „Kultur des Genug“. Maßgeblich für die Zukunftsfähigkeit von Live-Entertainment und Musikindustrie ist nicht das Machbare, sondern das Erforderliche. Klimakrise und Massenaussterben sind Physik/Biologie. Es gibt keine Verhandlungsmasse. Es ist jetzt, sofort und heute! notwendig, Musik und Musikindustrie aus dem althergebrachten Hedonismus herauszulotsen und voranzugehen bei einer gesamtgesellschaftlichen Transformation – die unvermeidbar ist, wenn wir Menschen die Zivilisation bewahren wollen.

Marc Pendzich, im Juli 2022


26.7.2022: Ein über den zitierten Green Touring Guide deutlich hinausgehendes Paper namens Music Industry Climate Pack 2021 hat Music Declares Emergency herausgebracht, über das/die in einem späteren Version dieses Textes genauer zu berichten sein wird.


>> Dieser Text ist ein work-in-progress und wird nach und nach erweitert, optimiert und upgedated.


Quellen des Abschnitts „Musikindustrie, Live-Entertainment“