… vor dem Jahr 2000, thematisch angesiedelt im Bereich „Überlebenskrise der Menschheit“ samt „Klimakatastrophe“ und „Massenaussterben“ (in loser Folge) [>> als playlist auf YouTube]
Alexandra: „Mein Freund, der Baum“, 1968
„Ich fühlte mich [in Kindertagen] bei dir geborgen
Und aller Kummer flog davon…
Mein Freund der Baum ist tot
Er fiel im frühen Morgenrot…
Bald wächst ein Haus aus Glas und Stein
Dort wo man ihn hat abgeschlagen
Bald werden graue Mauern ragen“
- „‚Mein Freund, der Baum‘ ist, wenn man so will, eine Art Proto-Öko-Song. Erschienen 1968, noch viele Jahre, bevor die ‚Grünen‘ im deutschen Bundestag für Umweltthemen eintraten, legt Alexandra in der allegorischen Freundschaft zu ‚ihrem‘ Baum [in diesem wunderschön arrangierten Chanson] ihre Umweltbotschaft dar.“
… bringt es der Musikexpress-Redakteur Florian Kölsch auf den Punkt.
Franz Hohler: „Der Weltuntergang“, 1973 (hier in einer Aufnahme von 1983) [Made in Switzerland]
Das passiert nicht jeder:jedem Autor:in: Rund 50 Jahre nach Entstehung wurde der Schweizer Schriftsteller, Kabarettist und Liedermacher von den jungen Strike-for-Future-Bewegung im Zürcher Unterland in Bülach gebeten, seine Ballade „Der Weltuntergang“ vorzutragen – und er sagte spontan zu:
- „Junge Leute sind oft erstaunt darüber, wie lange das alles schon bekannt ist, und unsere Generation muss sich sagen lassen, dass wir zu wenig dagegen unternommen haben“ (Fehr 2021).
Der Kommentar eines Youtube-Users beim 2011er Videoclip:
klopf
klopf
klopf
klopf klopf
klopfklopfklopf
PS: Ich mag das Fallbeispiel nicht in die Rubrik „Songs (Satire, Kabarett, Comedy)“ packen, denn hier ist keine wirklich Überzeichnung zu vermelden. Das Mittel der Wahl ist: schonungslose Wahrheit.
PPS: Auf dieses Video bin ich nach Verfassen des Beitrages gestoßen – es wirkt wie Hohlers ‚Weltuntergang‘ in die Praxis umgesetzt.
Gerhard Gundermann: „Halte durch“, 1988
‚Wir ham den Amazonaswald zersägt
Zur Strafe hast du Afrika das Wasser abgedreht
Ach Mama das ist doch die falsche Adresse
Das Abendland braucht auf die Fresse
Du mußt uns so lange schlagen
Bis wir lernen bitte zu sagen…‘
Refr.
‚Halte durch wenn’s irgendwie geht
Bist doch ’ne kluge Frau
Bist doch ein erfahrner Planet
Wir machen dich zur Sau‘
„Das Abendland braucht auf die Fresse – bis wir lernen wieder bitte zu sagen.“ – Nun, mit jedem Jahr, dass gedankenlos verstreicht, wird die folgende Rosskur härter. By design or disaster? – Die Menschheit ‚will‘ es offensichtlich auf die harte Tour.
Diese ‚Durchhalteparole‘ referiert zwar nicht direkt aufs Klima – erfasst gleichzeitig die „Globale Problemlage“ sehr treffend – und wohltuend direkt.
Gerhard Gundermann (1955-1998) – ein fantastisch authentischer Singer/Songwriter der DDR, der in den 1990er Jahren zunehmend populärer wurde und sich mit dem Themenkreis „Ausbeutung, Mensch, Natur, Ökologie sowie Armut, Arbeit und Reichtum“ (wikipedia 2022) auseinandersetzte.
Gerhard Gundermann: „Grüne Armee“, 1992
‚Unser Feind ist die Wüste, gut Freund jeder Baum.
Eine fröhliche Küste ist der Soldatentraum.
Gegen ultraharte Sonne, gegen bitteren Schnee,
Unter der Fahne der grünen Armee,…
Wir flicken das Ozonloch, wir filtern den Rhein.
Wir ziehen den Wald hoch, wir machen uns klein.
Den Kindern süße Sahne, für die Kühe den Klee,
Steht auf der Fahne der grünen Armee…‘
… man wird ja noch mal träumen dürfen, mag sich Gerhard Gundermann gesagt haben, als er diesen Text niederschrieb.
Wahrscheinlich ist mehr Wahres an dem Text, als ihm bewusst war. Ist doch bspw. die US-Armee einer der größten Arbeitgeber in den USA. Soll heißen, man kann den Laden nicht einfach dichtmachen, ohne die USA ökonomisch/sozial vollends abschmieren zu lassen – zumindest nicht in diesem ökonomischen System. Und Menschen müssen ja was zu tun haben. Zweifellos gibt genug Arbeit, um die durch den patriarchal geprägten Kapitalismus entstandenen Schäden – so weit es überhaupt geht – zu beseitigen.
>> Krieg kann es in einer Null-Emissionen-Welt sowieso nicht mehr geben: Zu wenig Energie, zu wenige Ressourcen – und jede Zerstörung erzeugt CO2… Ha, daran sieht man, wie groß die Herausforderung ist… Es ist aber auch eine gigantische Chance, für die es sich lohnt, sich einzusetzen!
Warum also nicht die Armeen dieser Welt zu einer Art „Technisches Hilfswerk“ (THW) umformen?
Man wird ja noch mal träumen dürfen.
Tatsache ist, dass die ökologische Balance des Planeten nur unter enormen, globalen Einsatz von „Klimaarbeiter:innen“ einigermaßen bewahrt werden kann. Unser Ausbildungssystem zielt so gesehen in die komplett falsche Richtung – und ist derzeit nicht zukunftsfähig.
>> Und noch eine Assoziation:
- Rupert Neudeck („Cap Anamur“) hat 2003 den internationalen Friedenskorps Grünhelme e. V mitbegründet (analog zu den „Blauhelmen“ der sog. UN-Friedenstruppen). Diese interreligiös angelegte Hilfsorganisation baut auf, „was andere widerrechtlich zerschlagen haben. Mit der eigenen Hände Kraft und der Intelligenz von Bauingenieuren und Maurern, Zimmerleuten und Architekten, Maschinenbauern und Elektrikern, Logistikern und Klempnern werden wir vor Ort mit den Einheimischen aufbauen helfen“ (zit. aus https://gruenhelme.de/ueber-uns/)
>> Der Begriff „Grüne Armee“ steht auch für „lokale Partisanenarmeen und Milizen im Russischen Bürgerkrieg. Die meisten waren von der Roten Armee enteignete Bauern oder Desertierte“ (wikipedia 2021).
Gänsehaut: „Karl der Käfer“, 1983, 2,3 Mio Aufrufe seit 2012
„Karl, der Käfer wurde nicht gefragt
Man hatte ihn einfach fortgejagt“
„Dort, wo Karl einmal Zuhause war
Fahr’n jetzt Käfer aus Blech und Stahl“
Selten, dass sich Musiker:innen zu Anwält:innen von Käfern und Blumen machen… Der Refrain wird akustisch von einem dezenten Chor begleitet, der – so darf man interpretieren – uns Zuhörer:innen repräsentiert, die wir diese ohrwurmige Melodie samt Botschaft (implizit gegen das damals hitzig diskutierte und zutreffende Waldsterben) mitsingen sollen. Um ganz sicher zu gehen, dass wir es auch wirklich ALLE verstanden haben, wird der kurze Refrain-Zweizeiler wird stetig wiederholt-wiederholt. Tod-traurig.
Ist eigentlich jemals jemandem außer mir aufgefallen, dass dies faktisch die Vertonung des 1972 veröffentlichten Kinderbilderbuch-Klassikers „Der Maulwurf Grabowski“ von Luis Murschetz (*1936) ist? Denn dort kamen in seine „wie behaglich, wie geruhsam“-Welt eines Tages „fremde Männer auf die Wiese und begannen mit Messinstrumenten das Land zu vermessen…, denn hier sollten Hochhäuser mit Tiefgaragen entstehen“. Grabowski findet (vorübergehend?) eine neue Wiese „mit leicht duftender Erde darunter“.
Wo Murschetz für den Maulwurf eine Lösung findet, die bei Kindern sicher auch mal die Frage aufwirft: „Ok, aber wenn da dann auch die Bagger kommen? Und dann bei der nächsten Wiese wieder – und wieder?“, bleibt es bei Gänsehaut in erster Linie ein wertkonservatives Kohl-hat-gerade-die-Macht-übernommen auswegloses gänsehautiges Frösteln. Der Song bleibt auf der Anklage-Ebene – ohne von irgendjemandem irgendetwas zu fordern.
>> s.a. Punk-Version von Zaunpfahl: „Karl der Käfer“, 2012
Reinhard Mey: „Das Meer“, 1988, 143.000 Aufrufe seit 2009
„Wir bringen ihm einen erbärmlichen Dank
Die Pflanzen zerstört und das Seegetier krank
Was da kreuchte und fleuchte verendet im Teer
Wir verseuchen das Meer und misshandeln es schwer …
Wie wir es vergiften, missachten und schänden
Wir stören nicht lange sein Gleichgewicht
Es wird uns nur abschütteln von seinen Stränden
Wir brauchen das Meer, doch das Meer braucht uns nicht!“
Hier werden die Machtverhältnisse zwischen Natur und Mensch zurecht gerückt: Um es mit einem Öko-Klassiker-Spruch zu sagen: „Wir brauchen die Natur, aber die Natur braucht uns nicht.“
Tatsächlich bleibt dieses Wissen allzu oft abstrakt. Der große Irrtum vieler Menschen, besonders der Bewohner:innen der frühindustrialisierten Staaten:
Wir sind nicht die Herrscher der Erde, wir unterliegen den Gesetzen der Natur, wir sind Teil der Erde: Wir sind Erde.
>> vgl. Handbuch Klimakrise: Grundlegende Gedanken zur Klimakrise und Massenaussterben
Dann gibt es noch den Song „Es gibt keine Maikäfer mehr“ (1974), in dem Mey beklagt, dass es im Unterschied zu seiner Kindheitszeit, in der er (oder sein lyrisches Ich) Maikäferexperte war und eine große Sammlung besaß, (so gut wie) keine Maikäfer mehr gibt:
„Würd ich noch einmal loszieh’n
Blieb mein Schuhkarton wohl leer…
Es gibt keine Maikäfer mehr“
1984 veröffentlichte Reinhard Mey sein Lied „Alles so schön verpackt“, in dem es zunächst um Konsumkritik und Geschenke- und Verpackungswahn geht, was rückblickend eine neue Note bekommt bzw. überaus hellsichtig wirkt, insofern, als dass eben die ‚Geschenkeschlacht am Tannebaume‘ sowie der Wahnsinn rund um (Online-)Versandhauskäufe und die entsprechenden Verpackungen seither exponentiell zugenommen hat.
In der abschließenden Strophe hebt Mey dann das Thema auf eine höhere Ebene:
‚Die Umweltdebatte vor dem Parlament:
Die eine Hälfte fehlt, die andre Hälfte pennt,
Einer erklärt mit Nachdruck, einer fordert unbeirrt,
Daß nun endlich alles anders und zudem viel besser wird,
Daß nun wirklich was gescheh‘n muß, daß es Zeit zu handeln sei!
Ach wie gern hör‘ ich sie reden, und dann denk‘ ich mir dabei …
Refr.
Alles ist so schön verpackt,
Eingetütet, eingesiegelt, eingesackt,
So schön groß, so schön bunt und so schön vakuum –
Je weniger drin, desto mehr drumherum!‘
1986 begrüßt Reinhard Mey sein neugeborenes Kind mit dem Lied „Mein Apfelbäumchen“ mit der Zeile „Du bist das Apfelbäumchen, das ich pflanz‘!“. Und weiter:
‚Sieh dich um, nun bist du ein Teil der Welt,
Die sich selbst immerfort in Frage stellt,
Wo Menschen ihren Lebensraum zerstörn,
Beharrlich jede Warnung überhörn.‘
Sein Kind als „Apfelbäumchen“ zu bezeichnen ist sicher ersteinmal nicht besonders naheliegend. Es ist daher plausibel, das Mey hier auf den Martin Luther zugeschriebenen Satz „Und wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch mein Apfelbäumchen pflanzen“ anspielt.
Doch deutlicher als in vorgenannten Liedern wird Reinhard Mey betreffend den Themenkreis ‚Klimakatastrophe/Massenaussterben‘ nach meinem Kenntnisstand nicht.
Tatsächlich bin ich schlicht erstaunt, wie wenig die Dinge beim Namen nennendes von Reinhard Mey in diesem Kontext kommt – früher und auch in diesen Jahren. Mey hat in den vielen Jahrzehnten seiner fantastischen Karriere so ziemlich jedes denkbare Thema in einen Song verarbeitet. Und ausgerechnet hier wird er schweigsam? Wie schade.
Update Juni 2024: Song „Lagebericht“
Der mittlerweile 81-jährige Reinhard Mey hat gerade ein weiteres Album veröffentlicht – das neunundzwanzigste. Und es ist m. E. beeindruckend, ein Spätwerk, nicht leicht zu durchzuhören, aber wert, die Zeit und Energie zu investieren – reif, komplex, reflektiert und intelligent wie es ist.
Für Reinhard Mey ungewöhnlich, wagt er in seinem Lied ‚Lagebericht‘ einen Blick in die Zukunft. Konkret steht das Lyrische Ich am 20. Dezember 2042, also am Tag des 100. Geburtstags von Mey, am Deich von Stedesand am Rande der ins Festland vorgerückten Nordsee und blickt in die Richtung, wo sich einst das versunkene Westerland befand (siehe Songtext).
Ein weiteres Mal sind es die versagenden, unfähigen Politiker:innen, die in konsquenter Fortschreibung von „Vernunft breitet sich aus über die Bundesrepublik Deutschand“ und „Das Narrenschiff“ (siehe unten … mehr), das eigene Land und auch die ganze Welt in den Untergang geritten haben und reiten.
Anmerkung: Man geht davon aus, dass bei 3 bis 4 Grad Celsius keine Zivilisation mehr denkbar ist. Und nicht mal vier Grad erreicht werden, weil die Temperatur nach Abgang des Großteils der Menschen mangels Emissionen wieder sinken würde – aber da müssen wir Menschen uns logischerweise keine Gedanken drüber machen, vgl. Handbuch Klimakrise: Fazit und Schlussgedanke zum Abschnitt 11 Milliarden Menschen.
„Beim G-2-Gipfel in Rom denkt man, drüber nachzudenken,
Gemeinsamkeit gemeinsam zu beschließen und zuvor
Die Erderwärmung freiwillig auf 8 Grad zu beschränken.“
Zutiefst zynisch, bitter und düster kommt Reinhard Mey daher – und tatsächlich, bei einem „Weiter so“ dürfte es in etwa auf eine solche Dystopie wie im „Lagebericht“ hinauslaufen.
Was mich persönlich betroffen macht, ist dieser harte Bruch, dieser disruptive Übergang in die Düsternis bzw. in die Dystopie. In ‚Lagebericht‘ wählt Mey den prophetischen Blick in die Zukunft und malt in gleichermaßen düsteren wie grellen Farben die Dystopie der ausradierten Zivilation aus.
Es gibt m. E. in Reinhard Meys Gesamtwerk keinen ‚Zwischensong‘, in dem er zu angemessener Zeit bezogen auf die Gegenwart in deutlichen Worten vor der Klimakrise und dem Massenaussterben gewarnt und zum Handeln aufgefordert hätte. Lange hat er das Thema ausgespart – und nun bleibt ihm nur bodenlose Hoffnungslosigkeit und abgründiger Zynismus; es gibt keine Perspektive, kein Aurütteln, keinen Aufruf zum Kampf – nichts.
Mit seiner Düsternis sowie seiner Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit und ohne relevante Abfederung durch Humor oder orignellem Zynismus ist das Lied nach meinem Kenntnisstand singulär in Meys Schaffen.
Sollte es etwa so sein, dass der so sprachgewandte und doch eigentlich nie um einen Songtext verlegene Reinhard Mey das Thema nie aufgegriffen hat, weil es ihn so belastete und dabei selbst ihn sprachlos machte?
Schimmert hier das mit Absicht unbesungene, sogar auch für Reinhard Mey zu große, zu gewaltige Thema durch? Nun, wenn hier selbst Reinhard Mey jahrzehntelang sprachlos bleibt, dann dürfen uns die großen Augen und leeren Blicke, die das nicht zu verwortende, offensichtlich unausprechliche Thema bei vielen Mitmenschen auslösen, noch weniger als bisher wundern.
OMG.
Nun, wie dieses Webportal zeigt: Nicht nur Reinhard Mey tut sich mit diesem Thema schwer.
Kermit der Frosch: „Hier am Teich“, 199x (Sesamstraße)
‚Die Natur darf ich genießen,
Hier am Teich ([Chor der Fische:] Hier am Teich) Hier am Teich.
Die Luft ist so wunderbar klar [Kermit hustet]…
Lasst uns die Umwelt doch schonen.
Das ist der richtige Dreh.
[Chor der Fische:] Das wird für alle sich lohnen, für Euch, für uns für den See.
Verschont den Platz, den ich so mag [zweite Stimmem ganz wunderbar: Gurgelnde Fische]
Wir sind doch nur zu Gast, hier am Teich (Hier am Teich)… quak-quak! quaak!
Ein später Klassiker der Sesamstraße, in dem Kermit der Frosch aus der Betroffenenperspektive sein schönes Leben am Teich schildert, das dann im Verlauf des Clips durch Menschen (via rasendem Motorboot, Ghettoblaster-Lärm, Picknickhinterlassenschaften sowie gezieltes Entsorgen eines großen Müllsacks) erheblich getrübt wird. Angesichts eines singenden Frosches und melodisch gurgelnder Sirenen-Fische kommen die menschlichen Gäst:innen am Teich zur Einsicht, räumen ihren Mist weg und stimmen schließlich alle gemeinsam mit in das Lied ein. Am Ende des Clips möchte man nie mehr auch nur eine Bananenschale in den Busch werfen.
Mission liebenswürdig gelungen.
Peter Schilling: „Die Wüste lebt (Alarmsignal)“, 1983, 149.000 Aufrufe seit Februar 2020
„Nach vielen Tausend Jahren hat
Die Erde nun den Menschen satt
Sie gibt die Atmosphäre auf…
Die Sonne steht seit
198 Stunden regungslos auf
Drei Uhr nachmittags…
Alarmsignal, die Sonne brennt
Heißer als man sie kennt …
die Wüste lebt.“
Für einen 12-jährigen wie mich kam der Song seinerzeit schockierend rüber – man schüttelte sich und war froh, dass das nur in der damaligen Atmosphäre des NATO-Doppelbeschlusses, der Friedensbewegung, des sauren Regens und des No-Future-Punks bloße Science Fiction war.
Nun, The Times Are A-Changing.
Schilling malte sich damals in seiner Fantasie aus,
- „was wohl passiert, wenn die Erde so rücksichtslos mit uns umgehen würde, wie wir mit der Erde umgehen. Allerdings war mir seinerzeit noch nicht klar, wie wichtig eine intakte Atmosphäre ist – oder andersrum, auf welch gefährlichem Weg die Menschheit eigentlich ist“ (Reimer 2021).
Zu erwähnen ist Peter Schillings genereller Hang, in seinen Texten Dystopien zu beschreiben, was durchaus typisch für die Neue Deutsche Welle war, von Schilling aber besonders mitgeprägt wurde. „Major Tom (… völlig losgelöst“) (1982) zeichnet eine Katastrophe im Weltall nach.
„Man spürt die Gefahr, doch man kann sie nicht sehen.“ (aus: „Terra Titanic“)
Der 1984 veröffentlichte Song „Terra Titanic“ wiederum beschreibt auf der Meta-Ebene – und hervorgehoben in der Titelzeile durch „Terra“ – die Erde – ein Weltuntergangsszenario, allegerorisch anhand des verkürzt ausgedrückt durch menschliches Versagen verursachten Untergangs des als „unsinkbar“ geltenden Passagierschiffs Titanic im Jahre 1912. Deren Untergang war auch in den 1980er Jahren noch sehr tief im kollektiven Gedächtnis der Menschen mindestens im globalen Norden verankert. Das Wrack wurde übrigens erst nach Veröffentlichung des Songs – etwa ein Jahr später – gefunden.
Achim Reichel: „Exxon Valdez“, 1996
‚Die Exxon Valdez war sein Schiff
das zweitmodernste seiner Flotte‘
Selbstverständlich unsinkbar – wie schon einst die Titanic.
‚Mit 30.000 Pferdestärken schieben schnaubend die Motoren
ein Schiff so groß wie 10 Häuserblocks
vollgepumpt mit Rohöl
und in der Offiziersmesse kommt die Zeit für Whisky on the Rocks.‘
Und am Schluss des Songtextes
über diesen 1989 auf ein Riff im Polarmeer vor Alaska auf- und ausgelaufenen Mega-Öltanker
spricht dann der Richter den Konzern Exxon[Mobil] frei – und zwar, so sieht es Reichel:
‚Im Namen des Geldes.‘
Danke, Achim Reichel, für diesen Volltreffer zum Thema „menschliches Versagen“ – wie man so sagt. Ich finde es nicht menschlich. Es hat nämlich tatsächlich weniger mit Mensch, sondern in erster Linie ganz, ganz viel mit viel, viel Geld zu tun.
Gerne werden solche Katastrophen als Einzelfälle, als Kollateralschaden gesehen, die „in Kauf genommen werden müssten in unserer modernen Welt“ – ebenso wie Fußgänger:innen und Fahrradfahrende, die von LKWs und SUVs umgelegt werden.
Nein. Das sind nicht alles Einzelfälle: Exxon Valdez, Deepwater Horizon, BSE, Fukushima, Bitterfeld, Contergan, Glyphosat, Chrom im Trinkwasser in Hinkley (vgl. „Erin Brockovich“)… sind zusammenzudenken, die Ursache ist letztlich immer die gleiche… Es sind keine Einzelfälle, das hat System, es ist systemisch, d.h. es ist Bestandteil des derzeitigen globalen ökonomischen Systems, das Alles kaputtmacht.
Geld, Ruhm, Macht – Welcome to Patriarchal Capitalism.
Ergo: Wir brauchen ein anderes System.
Juliane Werding: „Der letzte Kranich vom Angerburger Moor“, 1972
„Die Sonnenstrahlen fallen auf den See
Und das Wasser schimmert matt von Öl und Teer
Der große graue Vogel fliegt allein
Doch der Tod fliegt wie sein Schatten hinterher
Der letzte Kranich vom Angerburger Moor
Zieht traurig seinen Kreis, als wenn er weint…
Und er späht nach seinem unsichtbaren Feind“
Nun, hier wird ein wenig „Karl der Käfer“ (1983) vorweggenommen, ergänzt um den Aspekt „Wasserverschmutzung durch Öl“. Aber mit deutlich mehr Tiefgang vortragen.
Juliane Werding und/oder ihre A&R-Manager:in haben offensichtlich einen Hang zu „Balladen mit Message“ gehabt und ihre Karriere als eine Art deutsche Joan Baez (von der die bekannteste englischsprachige Version zu Werdings erstem Hit „Der Tag an dem Conny Kramer starb“ stammte) zu lancieren. Vielleicht sollte auch ein wenig die schmerzliche musikalische Lücke geschlossen werden, die Alexandra („Mein Freund der Baum“, 1968) mit ihren frühen Tod 1969 hinterlassen hatte. Auf jeden Fall wurde das bundesdeutsche Schlagerpublikum fortan konfrontiert mit Chanson-Schlagern wie „Wenn du denkst du denkst dann denkst du nur du denkst“ (1975) – und das von einer Teenagerin, die den Tod „Conny Kramers“ mit etwa 15 Jahren betrauerte. So war es auch nur konsequent (wenngleich etwas kalkuliert-befremdlich), ihr Debütalbum „In tiefer Trauer“ (1972) zu nennen.
Kommentar zu „Der letzte Kranich vom Angerburger Moor“ auf YouTube von Manni K****:
- „Und auch nach 50 Jahren haben die Verantwortlichen nichts dazu gelernt. Der Tag wird kommen, wo ihr euer dreckiges Geld in der Pfanne braten werdet.“
Inwieweit der Erfolg des Liedes seinerzeit noch möglicherweise durch eine nostaligische „Heimatvertriebenen“-Komponente erhielt, weil die Kleinstadt Angerburg in Ostpreußen lag und heute als Węgorzewo in Polen liegt, kann hier nicht beurteilt werden.
Gerhard Schöne: „Trampelmann“, 1989
Refrain
‚Wer singt: „Hurra, ich mach mir die Erde untertan!“
Das ist der rücksichtslose, verrückte Trampelmann.‘
Er hält sich für‘ den Größten.
Er plündert die Natur.
Er hinterlässt auf Erden
eine wüste, tote Spur.‘
Kommt als Kinderlied daher – und endet daher nicht zufällig mit einem pädagogischen Programm: ‚Wenn du durch die Natur gehst, erfreue dich daran, und werde nie im Leben ein dummer Trampelmann.‘
Der ostdeutsche Liedermacher Gerhard Schöne (*1955) nimmt in seinen Liedern seit jeher oft Bezug auf Umweltthemen, die er in seinem christlichen Weltbild ansiedelt. So schreibt er bspw. das Kirchenlied ‚Ich bin ein Gast auf Erden‘ (1991) um.
‚Ich bin ein Gast auf Erden, versuche mich dann und wann
Als Hausherr zu gebärden, der alles machen kann
Dann sterben Wälder, Meere, dann bleibt kein Lüftchen rein
Dann gehen ganze Heere von anderen Gästen ein‘
Seine ganze Wucht entfaltet der Text erst im Vergleich mit der Vorlage. In dem von Paul Gerhardt 1666/67 verfassten Text über die Melodie von ‚O Haupt voll Blut und Wunden‘ (vgl. Evangelisches Gesangsbuch Nr. 529, Text) heißt es:
‚Mein Heimat ist dort droben,
Da aller Engel Schar
Den großen Herrscher loben,
Der alles ganz und gar
In seinen Händen träget‘
Der Text basiert auf einer diametral entgegengesetzten Weltsicht: Die Erde ist für (gläubige) Menschen nur eine ‚Zwischenstation‘, in der allein Gottes Wille geschieht.
Nicht dass ich mich nach einem solchen Weltbild sehne, aber: Ist ’ne Menge passiert seitdem in den Köpfen der Menschen – und der Gedanke, wir könnten Teil der (nicht unbedingt ausschließlich christlich zu verstehenden) ‚Schöpfung‘ sein – also Teil der Mitwelt sein – ist uns Menschen der frühindustrialiserten Staaten so fremd, so fremd… So fremd, dass der ‚Hausherr‘ – den ich hier durchaus patriarchisch-idiotisch lese – derzeit dabei ist, sich selbst vom Planeten auszuradieren.
Hans Hartz: „Vor meinem Fenster steht ein Baum“, 1984
Der Liedermacher Hans Hartz („Die weißen Tauben sind müde“) hat Alexandras Lied gewissermaßen fortgeschrieben mit „Vor meinem Fenster steht ein Baum“ – und versetzt „den Baum“ in „Saure-Regen-Zeiten“ („Doch der Regen wurde schal“).
Auch Hartz nennt den Baum seinen „Freund“ – der dem Wind nicht widerstehen konnte…
Und schließlich fragt Hans Hartz
… in Anlehnung an das Antikriegslied von Pete Seeger „Where have all the flowers gone?“ (1960) bzw. Marlene Dietrich „Sag mir wo die Blumen sind?“ (1962)…
‚Sag mir, wo die Bäume sind
Wer hat noch starke [Bäume] wachsen sehen[?]‘
Das Ganze endet in einer verzweifelt-hoffnungslosen Bitte an die Hörer:innen des Songs bzw. der Menschheit:
‚Denkt doch mit an eure Kinder.
Sie leiden auch so wie der Baum.
Denn die Luft die wir noch atmen,
wird für uns alle zum bösen Traum.‘
Yoh, Leute, ’s wird Zeit.
Rund 30 Jahre später: Viele Menschen lieben Katastrophen-Tourismus (Hä?) – jetzt neu zum fantastischen Spartarif und direkt vor Ihrer Haustür. Ein kleiner Trip für den großen Schock: Ab in den West-Harz (!) – z.B. zwischen Brocken und Wurmberg ist: der Wurm drin.
Wolf Biermann: „Das Barlach-Lied“, 1968
‚Ach Mutter mach die Fenster
Ich glaub es kommt ein Regen…
Ach Mutter mach die Türe zu
Da kommen tausend Ratten…
Ach Mutter mach die Augen zu
Der Regen und die Ratten
Jetzt dringt es durch die Ritzen rein
Die wir vergessen hatten.‘
Nein, das ist selbstverständlich kein Klimakrisenlied – hier geht es um politische Fehlentwicklungen der DDR bzw. um Biermanns persönliche Situation, der seit 1965 mit Berufsverbot belegt war und daher privat in der eigenen Wohnung musizierte. Die dort entstandene (für ‚den Westen‘ aufgenommene) LP, die „Das Barlach-Lied“ enthielt, hieß denn auch folgerichtig „Chausseestraße 131“.
Nimmt man den Text weniger wörtlich – und wörtlich ist er ohnehin nicht gemeint – dann kommen „Regen“, „Wolkenwand“ und „Ratten“ als drohendes Ungemach daher, gleich der Klimakatastrophe, den Wetterextremen, dem Massenaussterben und den Zoonosen.
Das, wovor die Menschheit seit Jahrzehnten kollektiv die Augen zumacht und sich den durchaus vorhandenen Lösungen verschließt, tatsächlich: Jetzt dringt durch die Ritzen rein, was wir so mühsam und vergeblich ignoriert-verdrängt-vergessen hatten.
>> Der Song-Titel und die Textzeile „Fall’n sich die Engel tot“ verweisen auf die Engel-Skulptur „Die Schwebende“ (1927) von Ernst Barlach, vgl. https://www.wikiwand.com/de/Der_Schwebende (Abrufdatum 19.8.2022)
Vicky Leandros: „Verlorenes Paradies“, 1982
‚Sagt mir, warum der Fisch im Fluss
und auch die Blume sterben muss…
wer hat … den Baum, den Strauch, das Stück Natur
in unserer Stadt betoniert?
Sagt mir, waren das nicht wir?
Doch wir stehn vor dem Ende, seht das endlich mal ein…
Ich sing‘ fuer Dich, ich sing‘ fuer Euch,
fuer alle Menschen auf der Welt…
ein kleines Lied, ein kleines Lied
fuer das verlor’ne Paradies,
Ob die Erde auch morgen für uns liebeswert bleibt,
liegt an uns ganz allein…
Eine persönliche Begegnung:
Hm, Vicky hat so was gemacht… Der überdeutliche Text passt nicht recht zu dem Allerweltsarrangement… „Sieh das doch endlich mal ein“ wirkt richtig hilflos, und das schon 1982… und die Songzeile ist auch kraftlos gesungen… und dann kommt ein C-Teil mit „Ich sing‘ für Dich, ich sing für mich…“ und plötzlich horch‘ ich auf… das habe ich tatsächlich damals, mit 10 Jahren gehört – und es ist hängengeblieben, scheint also doch was zu taugen… und ja, es klingt, als würde sich jemand an das aus dem gleichen Jahr stammende „Ein bißchen Frieden“ anlehnen… „Ein kleines Lied“… Moment, so heißt es doch auch bei Nicole: „Sing mir ein kleines Lied“… Wer hat denn das im August 1982 veröffentlichte „Verlorenes Paradies“ geschrieben? … Oops, Ralph Siegel und Bernd Meinunger, also Mr. Grand Prix und sein Hoftexter persönlich… dann war das wohl eine Fingerübung für „Ein bißchen Frieden“, eine liegengebliebene Variante, ein Nachzieher oder halt ein Versuch nicht nur politisch, sondern auch hinsichtlich der Umwelt Frieden zu stiften?
Außer Konkurrenz:
Die Lustigen Jungs: „Am 30. Mai ist der Weltuntergang“, 1954
Musikalisch frei assoziiert: „… so wie im Ponyhotel“ (vgl. „Ferien auf Immenhof“, 1957).
Man stelle sich nun also Schüler:innen im Sellafield-Jahr 1957 vor, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland wegen eines möglichen radioaktiven Regens nach Hause geschickt wurden – mit der Anweisung, die lederne Schultasche über den Kopf zu halten… und dann dazu das Lied trällern…
Quellen des Abschnitts „Umweltsong-Klassiker (Made in Germany)“
- Fehr, Ursual (2021): „Kundgebung in Bülach: Franz Hohler bringt den ‚Weltuntergang‘ an die Klima-Demo“. in: Zürcher Unterländer Online, 23.9.2021, online unter https://www.zuonline.ch/franz-hohler-tritt-an-der-klima-demo-in-buelach-auf-322814534576?idp=OneLog&new_user=yes (Abrufdatum 15.3.2022) [pay wall]
- Kölsch, Florian (2019): „Ich glaub‘ der singt vom Wald: 7 Songs, in denen es ums Klima geht“, in: Musikexpress.de, 20.9.2020, online unter https://www.musikexpress.de/ich-glaub-der-singt-vom-wald-7-songs-in-denen-es-ums-klima-geht-1344111/ (Abrufdatum 17.6.2021)
- Murschetz, Luis (1972): Der Maulwurf Grabowski, Diogenes.
- Radiobob (o.J.): „Album-Jubiläum The Clash mit ‚London Calling'“. in: Radiobob.de, online unter https://frontend.radiobob.de/musik/textkunde/clash-london-calling (Abrufdatum 22.6.2021)
- Reimer, Nick (2021): „Musiker Peter Schilling über Klimasongs: ‚Öl im Getriebe der Menschlichkeit'“. in: tageszeitung, 17.5.2021, online unter https://taz.de/Musiker-Peter-Schilling-ueber-Klimasongs/!5770979/ (Abrufdatum 11.3.2021)
- wikipedia (2021): „Grüne Armee“. in: wikipedia, 23.8.2021, online unter https://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%BCne_Armee (Abrufdatum 19.8.2022)
- wikipedia (2022): „Gerhard Gundermann“. in: wikipedia, 14.1.2022, online unter https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Gundermann (Abrufdatum 11.8.2022)